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Die Zwillinge

Die Lösung sehen Sie in der Abbildung unten: Der Zwilling steht jeweils schräg links darüber. Haben Sie das auch herausgefunden? Beim linken Paar war es nicht ganz so schwer, denn der untere Knoten ist gegenüber dem oberen nur in der Zeichenebene nach links gedreht. Beim anderen Paar ist der untere Knoten zusätzlich noch leicht im Raum gedreht, und das macht die Sache schon anspruchsvoller. Wenn Sie es dennoch geschafft haben: Respekt!

Unsere figurative Intelligenz muss gut trainiert sein, wenn wir zwei räumlich gegeneinander verdrehte Figuren als kongruent erkennen wollen, zumindest wenn sie einigermaßen komplex gebaut sind. Und wir stoßen schnell an unsere Vorstellungsgrenzen, wenn die Figuren nicht kongruent, sondern bei gleicher Struktur zusätzlich auch noch mehr oder weniger stark verformt sind, wie das bei Knoten oft der Fall ist. Knoten können wir uns als »flexible Schlauchgebilde« vorstellen. Das macht die Knotentheorie zu einer lohnenden Herausforderung für unsere figurative Intelligenz.


Primknoten

Wie sich jede natürliche Zahl in Primfaktoren zerlegen lässt, so lässt sich jeder Knoten in Primknoten zerlegen. Wie jede Primzahl sich nicht weiter in (andere) Primzahlen zerlegen lässt, so lässt sich auch ein Primknoten nicht weiter in (andere) Primknoten zerlegen. Und wie die Primfaktorzerlegung einer natürlichen Zahl stets eindeutig ist, so sind auch bei jedem Knoten die Primknoten, aus denen er zusammengesetzt ist, eindeutig bestimmt. Dies hat der deutsche Mathematiker Horst Schubert (1919-2001) im Jahr 1949 bewiesen.


Man kann also jeden Knoten, der kein Primknoten ist, auf eindeutige Weise aus zwei oder mehr Primknoten zusammensetzen. Die Knoten, die keine Primknoten sind, nennt man daher »zusammengesetzt«. Die Zusammensetzung von Knoten bezeichnet man auch als »Knotensumme« oder »zusammengesetzte Summe«.
Die Knotensumme zweier Knoten wird nach einer einfachen Regel in drei Schritten gebildet (s. Abb. links): Man zeichnet die Knoten (genauer: Projektionen von ihnen) so in eine Ebene, dass sie einander nicht überkreuzen (oberes Bild). Dann zeichnet man in der Ebene ein Bogenviereck (blau), von dem zwei gegenüberliegende Seiten auf den Linien je eines der Knoten liegen (mittleres Bild). Schließlich löscht man diese beiden Seiten aus den Knoten und fügt dafür die beiden anderen Seiten des Vierecks hinzu, so dass ein durchgehender Knoten entsteht (unteres Bild).

Die folgende Abbildung zeigt alle Primknoten mit bis zu 8 (und noch einige mit 9) Überkreuzungen:

Beim Betrachten der ersten Primknoten in der Abbildung ist Ihnen vielleicht aufgefallen, dass Knoten mit genau einer oder zwei Überkreuzungen fehlen. Das hat einen einfachen Grund: Knoten mit nur einer oder zwei Überkreuzungen kann es nicht geben. So hat zum Beispiel der Knoten in Form einer 8 nicht etwa eine Überkreuzung, sondern überhaupt keine, denn man kann ihn »zu einer 0 aufbiegen«. Er ist also einfach ein Ring, im Fachjargon: der »triviale Knoten«, der »Unknoten« oder der »Primknoten 0.1«.

Solange man ihn nicht zerschneidet oder zerreißt, kann man einen Knoten verformen wie ein Gummiband – es bleibt doch immer derselbe Knoten. Mathematisch spricht man hier von einer »stetigen Verformung«. Zwei Knoten sind identisch, wenn man sie durch stetige Verformung ineinander überführen kann.

Jede Verformung ändert natürlich Form und Aussehen eines Knotens. Die topologische Struktur eines Knotens ändert sich durch stetige Verformungen aber nicht. Was ihn als diesen einen ganz bestimmten Knoten ausmacht, also gewissermaßen seine „mathematische Identität“, ist gerade das, was bei jeder noch so verrückten stetigen Verformung erhalten bleibt.


Knotentheorie

Die mathematische Knotentheorie ist ein Teilgebiet der Topologie. Sie untersucht die Struktur und die mathematischen Eigenschaften von Knoten. Interessante Fragen sind für sie zum Beispiel, welche Typen von Knoten es gibt, und ob zwei Knoten dieselbe Struktur haben (topologisch äquivalent sind) – und wie man so etwas beweisen kann. Dafür, welche Knoten beim Schuhzubinden, beim Segeln oder Bergsteigen besonders nützlich sind, interessiert sie sich allenfalls am Rande.

Mathematisch ist ein Knoten eine Einbettung einer Kreislinie in den Raum. Wenn wir Knoten handelnd erforschen möchten, können wir einfach eine Schnur verknoten und die beiden Schnur-Enden irgendwie verbinden (aber nicht durch einen weiteren Knoten). Vielleicht bauen Sie einmal einige der abgebildeten Primknoten aus einem Stück Gartenschlauch? Damit er nicht knickt, könnten Sie ihn mit Sand füllen. Zum Training unserer figurativen Intelligenz können wir nichts Besseres tun – allerdings auch kaum etwas Anspruchsvolleres.