Forum Figurative Intelligenz      Ohne Figuren keine Mathematik                    figurative intelligence, figurative maths, figurative mathmatics, figurative thinking, figuratives Denken


Wer glaubt, dass Mathematik nur etwas mit Zahlen zu tun hat, oder doch vorwiegend mit Zahlen, hat ein kleines Vorurteil. Dort, wo die moderne Mathematik gegenwärtig am erfolgreichsten ist und wo ihre Entdeckungen besonders wertvolle Anwendungen finden, sind weniger Zahlen im Spiel – als vielmehr Figuren. Wie spannend diese figurative Mathematik sein kann, das sollen einige Beispiele auf dieser Seite zeigen.

Erfolgreiches und motivierendes Lernen von Mathematik ist nicht möglich ohne ein genügend aspektreiches Repertoire eigener innerer Bilder mit immanentem Handlungsbezug. Dies ist das einzig tragfähige Verständnis-Fundament für die selbstständige Rekonstruktion der mathematischen Konzeptionen – aus eigenen Vorstellungen und im eigenen Kopf. Wenn wir Mathematik lernen, dann denken wir zunächst immer in Figuren. Ob uns das jedesmal bewusst wird oder nicht. Auch später kehren wir immer wieder zu diesem figurativen Denken zurück.

Die Mathematik des Figurativen spielt daher eine grundlegende Rolle beim Lernen von Mathematik. Ja, mehr als das: Unsere figurative Intelligenz ist die eigentliche mathematische Basisintelligenz. Ohne sie geht beim Lernen von Mathematik nichts. Beim Erfinden von Mathematik übrigens auch nicht. Auf unserer figurativen Intelligenz baut alles auf.


Figurative Mathematik

Im Folgenden sehen Sie eine kleine Auswahl aus dem großen »Pool« der figurativen Mathematik. Im engeren Sinn gehören dazu Gebiete wie Geometrie, Graphentheorie, Topologie oder Knotentheorie. Figurative Konzepte spielen aber in der ganzen Mathematik eine wichtige Rolle. Auch wenn viele mathematische Veröffentlichungen keine Figuren enthalten, auf dem Schmierpapier der Autoren waren sie sicher zu sehen. Figuren sind die elementaren Bausteine der mathematischen Visualisation. Ohne zu sehen, ohne Modelle, Bilder, Vorstellungen, können wir nicht mathematisch denken. In diesem Sinn ist Mathematik eine Kunst des Sehens. Und Mathematikdidaktik eine Kunst des Sichtbarmachens.

In dem begrenzten Rahmen einer Website können wir nur versuchen, einige Anregungen zu geben. Vielleicht kann das ein oder andere Beispiel Ihr Interesse wecken, ein Bild Ihren Blick fangen, Sie verblüffen? Ob das bei einigen dahinter liegende Problem einfach ist oder anspruchsvoll – das hängt von Ihnen selbst ab; es kommt ganz darauf an, was Sie für sich daraus machen.

Durch das experimentierende, spielerische Problemlösen, durch zeichnendes oder handwerkliches Konstruieren erweitern wir das Repertoire der inneren Bilder in unserem Kopf besonders schnell, effizient und motivierend. Unsere figurative Intelligenz lässt sich leicht trainieren, mit erstaunlichem Resultat in kurzer Zeit.

Ideal wäre es, wenn Sie dabei wo immer möglich eines tun: selbst handeln. Erst Handeln (im eigentlichen Sinn, mit den Händen; mit ihnen können wir wirklich be-greifen), dann Sehen, dann Denken. Was unsere Hände getan haben, geleitet von unseren Augen, kann unser Kopf am besten verstehen. Es gibt ein einfaches Rezept: bauen, hinsehen, nachdenken. Oft bringt es schon viel, wenn Sie nur zeichnen. Oder sich eine Handlung möglichst konkret und intensiv vorstellen. Sie werden Ihren Weg finden.

Nicht jedes der folgenden Beispiele stellt ein Problem. Manche sollen nur den Blick auf einen interessanten, vielleicht für Sie neuen Aspekt der Mathematik lenken. Ein faszinierter Blick bringt starke Bilder in den Kopf. Starke Bilder brauchen wir, um erfolgreich und mit Lust mathematisch zu denken.

Sie haben eine Frage, eine Anregung oder einen Kommentar? Wunderbar – bitte kurze Mail an:

1.  Geometrie in Bewegung

Sie sehen hier die Inversion eines Kaleidozyklus. Haben Sie gewusst, dass es in der Geometrie auch in sich bewegliche Objekte gibt? Sie sind immer noch zu wenig bekannt und dabei wirklich interessant. Und sie sind nur eines von vielen Beispielen aus der figurativen Mathematik, deren Phänomene auch Kinder faszinieren und zu Entdeckungen einladen.

Kaleidozyklen sind Tetraederringe mit »immanenter Beweglichkeit«. Alle Tetraeder sind zueinander kongruent. Jedes ist an zwei Kanten mit zwei Nachbar-Tetraedern verbunden, so dass die Tetraeder insgesamt einen Ring bilden, der an diesen Scharnierkanten »umgestülpt« werden kann. Die Umstülpung oder Inversion eines Kaleidozyklus ist ein unendlicher periodischer Prozess.

Wer zum ersten Mal ein Modell in die Hand nimmt und die Inversion mit den Händen ausführt, ist davon immer fasziniert. (Die konkrete Handlung am Modell fasziniert noch weit mehr als das bloße Betrachten einer Animation.) Viele möchten mit dem Drehen überhaupt nicht mehr aufhören.

2.  Die Würfelzerlegung von Paul Schatz

Der Kaleidozyklus in der Animation oben ist der sogenannte »Würfelgürtel«. Der Erfinder und Bildhauer Paul Schatz (1898-1979) hat eine ungewöhnliche Zerlegung des Würfels in drei Teile entdeckt: in zwei kongruente »Riegelkörper« und den Würfelgürtel (s. Abb.). Mit diesem Würfelgürtel hat Schatz als einer der ersten, wenn nicht als erster überhaupt, das Phänomen der Kaleidozyklen entdeckt.

An der Inversion des Würfelgürtels hat Schatz noch eine weitere Entdeckung gemacht: das »Oloid«, auf das wir unten noch einen Blick werfen werden (Beispiel 15).

3.  Eine kleine Welt aus fünf Würfeln

Vielleicht kennen Sie Pentominos, diese flachen Puzzlefiguren aus fünf gleichgroßen Quadraten. Ihre Übertragung in die dritte Dimension sind die Pentakuben (Fünfwürfler): Sie bestehen aus fünf gleichgroßen Würfeln, bündig Fläche an Fläche gesetzt. Nehmen Sie nur vier Würfel, so erhalten Sie Tetrakuben (Vierwürfler). Mit mehr Würfeln bauen Sie Hexakuben (Sechswürfler), Heptakuben (Siebenwürfler) usw.

Die Abbildung zeigt 14 Pentakuben. Wirklich? Wie viele verschiedene Pentakuben sehen Sie hier?


Drehen Sie die Figuren im Kopf. Welche können Sie zur Deckung bringen? Stellen Sie sich intensiv vor, Sie hätten die Figur wirklich in der Hand. Sie bleibt zwar auf dem Bildschirm, doch die Handbewegungen sollten Sie wirklich ausführen, so realistisch wie möglich. Begreifen kommt von »Greifen«. Erleben Sie, wie die Hand Ihrer figurativen Intelligenz auf die Sprünge hilft.

Wie viele verschiedene Pentakuben gibt es wohl insgesamt? Weniger als 50? Mehr als 100? Formeln bringen hier nichts. Probieren geht über Studieren.

Auf Kästchenpapier zeichnen Sie Pentakuben schnell: Eine vereinfachte »Kavaliersperspektive« erhalten Sie, wenn Sie die Würfelfronten als 2-mal-2-Quadrat zeichnen und schräge Würfelkanten als Kästchen-Diagonalen (einheitlich, z.B. immer nach hinten rechts aufsteigend). So setzen Sie Würfel an Würfel. Überflüssig gewordene Linien (»hidden lines«) radieren Sie wieder weg. – Nehmen Sie kein Lineal, zeichnen Sie aus der Hand. Die räumliche Wirkung wird besser, wenn die Linien ein wenig krumm und schief sind: Ihr Gehirn macht sich leichter ein räumliches Bild, wenn es etwas zu tun hat (Reduktion der Komplexität).

Zeichnen Sie doch jetzt einmal spontan ein paar eigene Pentakuben. So viele, wie Sie in fünf Minuten schaffen. Oder noch besser: Bauen Sie welche, indem Sie Würfel aneinander kleben. Unser »Würfelzucker« besteht ja leider nicht aus Würfeln. Aber Sie könnten quadratische Holzstäbe aus dem Hobbyhaus in Würfel zerlegen (bzw. in Stangen aus mehreren Würfeln). Beim Zusammenbau werden Sie in »Flow« geraten. Es geht den meisten so, die den ersten Schritt gemacht haben. Für alle, die diesen irgendwann einmal verloren haben: Der Spaß an der Mathematik kommt mit den Händen zurück. Machen Sie es einfach wie die spielenden Kinder. Sie erleben die figurative Welt der kombinatorischen Geometrie. Es klingt vielleicht übertrieben, beschreibt aber ziemlich gut den Eindruck, den man erhält, wenn man Kindern beim Bau dieser Fünfwürfler zuschaut: Pentakuben sind ein Fest für Hand+Auge+Kopf.




4.  Die Geometrie des Pascalschen Dreiecks

Hier sehen Sie das Pascalsche Dreieck. Die Zahlen fehlen, dafür sehen Sie Farben. Aber was bedeuten diese Farben? Haben sie irgendeinen mathematischen Hintergrund? In der Tat: Die Farben codieren bestimmte einfache Eigenschaften der Zahlen, die hier eigentlich stehen müssten. Besonders aufschlussreich sind die Lücken im Bild (Code-Farbe weiß). Da in diesem »Pascal-Muster« nur vier verschiedene Farben auftreten (einschließlich weiß), könnte es vielleicht etwas mit der Zahl 4 zu tun haben. Zu jeder natürlichen Zahl gibt es übrigens ein solches Pascal-Muster.

Es ist klar, wo die Farbsymmetrie des Pascal-Musters herkommt: sie folgt aus der Symmetrie des Pascalschen Dreiecks. Doch wo kommen diese weißen Dreiecke her? Und warum müssen sie in diesen Pascal-Mustern immer auf der Spitze stehen? Wenn Sie dem Geheimnis der Farbcodierung auf die Spur gekommen sind: Mit welchen Zahlen könnten die beiden folgenden Muster zu tun haben? Tipp: Sie können die Bilder zoomen und die Farben zählen.

Die figurative Mathematik ermöglicht oft neue Einsichten in die Eigenschaften von Zahlen und Zahlmustern. Die tieferen Einblicke in ihre Struktur liefern oft nicht die Zahlen selbst, sondern erst ihre Übersetzung in figurative Muster. Mit anderen Worten: Diese Einblicke liefert nicht Ihre numerische Intelligenz, sondern Ihre figurative.

5.  Von der Hand in den Kopf

Addieren Sie einmal die ersten 5 ungeraden Zahlen: 1+3+5+7+9. Ergebnis? Würden Sie sagen, dass Sie gerade eine mathematische Entdeckung gemacht haben? Wohl kaum, Sie haben lediglich ein bisschen gerechnet. Sie können hier aber doch eine Entdeckung machen, Sie müssen dazu nur Ihre figurative Intelligenz ins Spiel bringen. Und zwar dadurch, dass Sie natürliche Zahlen durch Zahlfiguren repräsentieren. Die Abbildung zeigt die Darstellung ungerader Zahlen als regelmäßige »Winkelzahlen«.

Wie wär's, wenn Sie die ersten 5 Winkelzahlen einmal selbst aus Papier oder Pappe ausschneiden? Wenn Sie solche Modelle vor sich auf dem Tisch haben, beginnen Sie unwillkürlich, mit ihnen herumzuspielen, mit ihnen zu puzzeln. Was würden Sie tun, um ihre Summe darzustellen? Probieren Sie es aus: In ein bis zwei Minuten werden Sie wirklich eine mathematische Entdeckung machen. Bei der Sie zugleich sehen, dass sie stimmt und warum sie stimmt.




6.  Bretter vorm Kopf

Testen Sie Ihr Augenmaß: Das linke Brett ist lang und schmal, das rechte kurz und breit. Welches Brett hat den größeren Flächeninhalt? Oder haben beide denselben?

Wie sicher sind Sie sich? Wie könnten Sie sich und andere hier überzeugen? Wann haben zwei Rechtecke denselben Inhalt? Kann man einen geometrischen Satz anwenden? Fragen über Fragen.




7.  Spieglein an der Wand

Warum stellt dieser eigenartige Spiegel nur QUALITY auf den Kopf – CHOICE aber nicht? Wurde das Foto manipuliert? Am besten, Sie überprüfen das selbst: Nehmen Sie ein Blatt Papier, schreiben Sie die beiden Wörter darauf und halten Sie das Blatt vor den Spiegel. Oder noch besser: Sie nehmen statt Papier eine druchsichtige Folie. Was sehen Sie? Und wie erklären Sie sich das?


Über den Spiegel denken viele nach. Ein Schüler warf einmal das folgende Problem auf: »Spiegel vertauschen ja rechts und links. Zuhause haben wir in der Diele so einen schmalen, hohen Spiegel. Wenn ich den von der Wand nehme und mit der langen Seite auf den Boden lege, dann müsste der doch anschließend oben und unten vertauschen, oder?«

Ein wirklich schlauer Gedanke, obwohl ... – Wie würden Sie antworten? Denken Sie selbst nach, schauen Sie lieber nicht in Bücher oder ins Internet. In beiden wird die Sache oft kompliziert und falsch erklärt. Prüfen Sie vor allem die Ausgangsthese. Die meisten Menschen glauben an sie, aber trifft sie auch zu? Vertauscht ein Spiegel wirklich rechts und links?

Wo tragen Sie Ihre Armbanduhr? Rechts oder links? Und wo sehen Sie sie beim aufrechten Spiegel? Rechts oder links? (Immer aus Ihrer Perspektive betrachtet, nicht aus der Ihres Spiegelbilds.) Und nun machen Sie ein kleines Gedankenexperiment: Wo würden Sie die Uhr Ihrer genauen Kopie sehen, wenn die auf Sie zukäme? Dreht der Spiegel um? Oder muss sich Ihre Kopie umdrehen, wenn sie auf Sie zukommen soll? Wo sehen Sie Ihre Armbanduhr beim quergelegten Spiegel, wenn Sie sich davor legen? Oben oder unten? Wenn sich Ihre Kopie vor Sie legt, wo sehen Sie dann die Uhr? Wer dreht hier also um? Und wer nicht?




8.  Kriminologie und Geometrie

... und Literaturgeschichte. Einer dieser drei Herren wurde am 19. Januar 1809 in Boston geboren und gehört zu den Großen der Weltliteratur. Er ist der Erfinder der modernen analytischen Detektivgeschichte und hat in einem Bericht über einen schachspielenden Automaten die zentrale Idee der Informatik vorweggenommen: die von einem Algorithmus gesteuerte Maschine. Auf welchem Bild ist er zu sehen? Wie heißt er? Wer sind die Herren auf den beiden anderen Bildern? Und natürlich: Was hat das mit Mathematik zu tun?

Dieses Problem ist mit einem anderen auf dieser Seite verwandt, ganz in der Nähe. Es gibt Kriminologen, die davon überzeugt sind, dass jeder Mensch eine emotionale und eine rationale Gesichtshälfte hat. Was hat das denn jetzt damit zu tun? Nun ja ...

Haben Sie nicht Lust, so einen Kriminalfall einmal selbst zu konstruieren? Für Ihre nächste Geometriestunde zum Beispiel. Oder als originelles Fotogeschenk. Was müssten Sie tun? Brauchen Sie wirklich drei Fotos?

Wenn Sie das Geheimnis dieses intelligenten und spannenden Autors lüften wollen: Hier finden Sie eine seiner berühmtesten Kurzgeschichten: Über ein gespenstisches Haus, eine Nacht voller Sturm und das Ende eines hypochondrischen Mörders. Und bei der Lektüre stoßen Sie auf die Lösung.




9.  Eine Kugel mit Ecken und Kanten

Hier sehen Sie das vermutlich meistgeliebte geometrische Objekt. Für viele wohl das einzige geliebte Objekt der Mathematik überhaupt. Dass sein mathematischer Hintergrund für sie im Dunkeln bleibt und sie es am liebsten mit Füßen treten, macht die Liebe nur noch stärker. Es ist das regelmäßigste unter den gut rollenden Polyedern. Warum kommt es in so vielen Fernsehsendungen vor?


Die fünf platonischen Körper: Tetraeder, Hexaeder (Würfel), Oktaeder, Dodekaeder, Ikosaeder

Aus welchem der platonischen Körper können Sie dieses Polyeder durch Eckenabschneiden herstellen? Tipp: Die Schnittflächen sind hier blau gefärbt. (Die Animation wurde erzeugt mit PolyPro 1.11. Eine Demoversion können Sie kostenlos herunterladen.)




10.  Puzzle your brain

Zwei beliebige Quadrate können Sie stets in insgesamt fünf Teilfiguren zerlegen, aus denen Sie exakt ein neues Quadrat zusammenlegen können. Wo genau muss der Punkt S liegen? Tipp: Sie können ihn in zwei Schritten allein mit dem Zirkel finden. Zwischen den beiden rechtwinkligen Dreiecken unterhalb der schrägen Strecken sollte eine möglichst einfache Beziehung bestehen.

Welchen berühmten Satz haben Sie mit dieser Puzzle-Konstruktion zugleich bewiesen?




11.  Flächenzauber

Wenn Sie in Ihrem Arbeitszimmer mal etwas mehr Platz brauchen – mit ein wenig Geometrie können Sie den mühelos herbeizaubern. Das glauben Sie nicht? Dann betrachten Sie doch einmal die folgende Animation. Sie zeigt, was Sie tun müssen, wenn der Grundriss Ihres Arbeitszimmers zufällig ein gleichschenkliges Dreieck ist. (Um die genauen Maße zu sehen, bewegen Sie die Maus auf die Animation bzw. tippen Sie darauf bei einem Touchscreen.)

Wir zerlegen das Dreieck, ordnen die Teile innerhalb des Dreiecks ein wenig um, und schon haben wir die rote Fläche hinzugewonnen. Außen ist es dasselbe Dreieck wie vorher, aber innen haben wir nun eine Lücke. Wenn wir den Bildern misstrauen, dann können wir das auch leicht beweisen: Die beiden Dreiecke links und rechts sind kongruent, denn beide haben dieselbe Basis 10, dieselbe Höhe 12, und beide sind gleichschenklig. Und die 6 Teile haben ihre Größe beim Umordnen auch nicht verändert. Aber rechts ist nun wie gesagt die Lücke des roten Rechtecks entstanden. Wir haben also 2 Flächeneinheiten herbeigezaubert. Das ist unmöglich, sagen Sie? Klingt ja einleuchtend. Aber was sollte an unserem Beweis denn falsch sein?




12.  Das Dodekaeder: ein Würfel mit 6 Dächern

Zwischen den beiden platonischen Körpern Hexaeder (Würfel) und Dodekaeder besteht eine interessante Verwandtschaft: Wenn Sie auf die sechs Seiten eines Würfels passende Dächer setzen, erhalten Sie ein Dodekaeder. Wie muss das Netz dieser Dächer aussehen? Betrachten Sie die Animation und skizzieren Sie.

Bauen Sie diese spannende Dodekaeder-Zerlegung doch einmal nach. Wenn Sie die Netze nicht selbst zeichnen wollen, können Sie sie hier herunterladen: Netze der Dodekaeder-Zerlegung.




13.  Zwilling gesucht

In der Abbildung sehen Sie fünf Knoten, aber nur drei verschiedene. Die oberen drei sind die »Primknoten mit 6 Überkreuzungen«, die es gibt. Jeder der beiden unteren Knoten ist ein Zwilling eines der drei oberen, also ein Knoten mit derselben Struktur. Welcher untere Knoten gehört zu welchem der oberen?

Wie sicher sind Sie sich? Argumentieren Sie hier oder sehen Sie? In schwierigeren Fällen hilft es sehr, wenn Sie die Knoten in die Hand nehmen können. Bindfadenmodelle bringen erfahrungsgemäß wenig. Nehmen Sie ein Material, das Sie mit beiden Händen greifen können: einen alten Gartenschlauch oder ein nicht zu langes Verlängerungskabel. Erst den Knoten formen, dann die losen Enden verbinden, um den Knoten zu schließen.

Probieren Sie aus, ob Ihre Gewissheit stärker wird, wenn Sie sich möglichst realistisch vorstellen, den Knoten mit den Händen zu greifen und zu bewegen, während sie die Handbewegungen tatsächlich ausführen.

Die Bilder wurden übrigens mit der Software KnotPlot hergestellt, die Rob Scharein im Rahmen seiner Dissertation entwickelt hat.




14.  A twisted story about a twisted torus

Für die einen ist es das Unendlichkeitssymbol in 3D, für andere der berühmte »Twisted Torus«, für den Rest einfach nur ein verdrehter Ring. Vielleicht wollen Sie diese schöne Figur aus Holz einmal selbst bauen? Mit etwas handwerklicher Begabung müsste man das doch hinbekommen, meinen Sie nicht?

Nach einem ziemlich unbekannten englischen Historiker hat den Twisted Torus ein englischer Schmied im frühen 18. Jahrhundert entworfen. Und zwar für eine große schmiedeeiserne Skulptur im Auftrag des Duke of Chandos, eines für Mathematik begeisterten Adligen (C.O.M. Pletetizzy: A twisted story about a twisted torus, Canterville 1887).

Zur feierlichen Enthüllung soll Georg Friedrich Händel seine berühmte »Air with variations: The Harmonious Blacksmith« (»Grobschmied-Variationen«) für Cembalo komponiert haben. Auf dem Klavier gespielt, können Sie sie hier hören: Blacksmith-Variations. – Allerdings: Die Quellenlage ist einigermaßen prekär. Die Skulptur und alle Entwürfe sind wohl bei einem Brand des herzoglichen Schlosses vernichtet worden. Erhalten geblieben ist von der ganzen Sache einzig die Handschrift zu Händels Musik, die der Komponist glücklicherweise mit zurück nach London genommen hatte. Er hat die Variationen später als ersten Satz in seine Cembalo-Suite in E-Dur, HWV 430, aufgenommen.

Zugegeben: Ein paar Skeptiker, die es natürlich immer gibt, halten das Ganze für ausgemachten Humbug. Gehören Sie etwa auch dazu? Ohne verlässliche historische Quellen wird man aber doch nie herausfinden können, wer hier recht hat. Oder? Welche anderen Argumente als historische könnten die Skeptiker denn auch vorbringen?




15.  Torkelkörper: Zweikreisroller und Oloid

Wenn Sie zwei gleichgroße Kreisscheiben senkrecht (und symmetrisch) ineinander schieben, so erhalten Sie einen Zweikreisroller (Abb. links). Probieren Sie mit zwei Bierdeckeln aus, wie weit Sie die Scheiben ineinander schieben müssen, damit der Roller möglichst gut rollt. Sie können als Optimum erreichen, dass der Schwerpunkt beim Rollen immer auf derselben Höhe über der Rollebene bleibt. Dann rollt dieser Roller ebenso leicht wie ein Zylinder.



Ein Zweikreisroller berührt in jeder Lage mit genau zwei Punkten die Rollebene, je einer pro Kreis. Verbindet man alle diese Punktepaare durch jeweils eine Strecke, so erhält man die »konvexe Hülle« des Rollers. Diese konvexe Hülle eines Zweikreisrollers nennt man Oloid (Abb. rechts). Besonders regelmäßig geformt ist das reguläre Oloid, bei dem der Abstand der beiden Kreismittelpunkte genau der Kreisradius ist (d.h. bei jedem der beiden Kreise läuft die Peripherie genau durch den Mittelpunkt des jeweils anderen Kreises).




16.  Das Problem der 12 Kugeln

Zum Schluss ein Problem, das zunächst eher nach viel Logik und ein wenig Kombinatorik riecht. Es braucht zur Lösung aber auch eine gut entwickelte Vorstellungskraft – mit anderen Worten: figurative Intelligenz. Es geht um das berüchtigte

Problem der 12 Kugeln: Jemand gibt Ihnen 12 äußerlich völlig gleiche Kugeln und verrät Ihnen, dass 11 davon gleich schwer sind, während die letzte entweder leichter oder schwerer ist als die anderen. (Aber nur so wenig, dass Sie schon eine Waage brauchen, um den Unterschied zu merken.) Sie sollen nun diese abweichende Kugel durch nur drei Wägungen mit einer Balkenwaage herausfinden und zugleich angeben, ob sie schwerer oder leichter ist als die anderen. (Sie haben nur die Waage, keinen Satz mit Gewichtsstücken; Sie können also keine Gewichte messen, sondern nur die Gewichte in beiden Waagschalen vergleichen.)

Fangen Sie an, und geben Sie nicht so schnell auf. Leicht ist es nicht, aber Sie schaffen das. – Das Problem ist wirklich vertrackt. Denn eine Balkenwaage zeigt ja kein Gewicht an, wir können mit ihr nicht messen. Sie zeigt nur, welche von zwei Schalen schwerer ist, bzw. dass beide gleich schwer sind. Lassen Sie sich Zeit und beherzigen Sie den Rat aller erfolgreichen (also lustbetonten) Problemlöser/innen: Nur ein noch nicht gelöstes Problem ist ein schönes Problem! Nichts ist älter als die Zeitung von gestern. Kein Problem ist langweiliger als ein gelöstes. – Sollten Sie allerdings nach einem Jahr (na gut, nach einer Woche) noch keine Lösungsmethode gefunden haben, so finden Sie hier eine ausführliche Anleitung.




Vergessen Sie nicht ...

Mathematik ist Problemlösen. Mathematik lernen heißt lernen, Probleme zu lösen. Mathematik gut zu lernen heißt, gerne Probleme zu lösen.

Schlechte Problemlöser/innen und daher auch schlechte Mathematiklehrer/innen sind ergebnisorientiert. Gute sind prozessorientiert. Problemlösen ist wie Wandern: Wer nur am Ziel interessiert ist (»Wann sind wir endlich da?«), hat Schwierigkeiten dorthin zu kommen. Das Ziel erreicht am besten, wer den Weg liebt und gern unterwegs ist.